Niederreichscharte
Niederreichscharte
o4:5o Uhr, ich stehe vor dem Auto und lade die Schi mit Zubehör ein. Abfahrt. Ich glaube, es tröpfelt leicht, aber nach wenigen Metern muß ich den 2. Intervall beim Scheibenwischer aktivieren. Was mache ich eigentlich hier? Vollplemm?
Bald fahre ich das Sellraintal Richtung Kühtai. Die Nebelfetzen hängen grausig herunter, es schifft richtig. Aber, plötzlich, zwischen Sankt Sigmund und Haggen, hört es auf. Und aus dem grauen Schleier lugen die Berge. Der Tag will doch noch was werden? Auf der Paßhöhe spiele ich mit dem Gedanken, auf den Gaißkogel zu gehen, aber es war mir nicht sympatisch genug. Also mache ich 2 Kehren weiter runter und parke in der Zufahrt zum Kraftwerksgebäude. Die Schi kommen auf den Rucksack und los gehts. Zuerst das Stück Forstweg steil hinauf und dann auf dem Pfad weiter ins Längental. Von den Flanken ist alles schon abgegangen, teilweise muß ich die Lawinenstriche queren, ohne Nutzen daraus zu ziehen. Nach vielleicht 45 Minuten schnalle ich die Schi an.
Der Schnee ist naß bis zum Grund. Die Felle saugen sich in Minuten mit Wasser an wie ein Schwamm und das Equipment nimmt links und rechts je 4 kg Gewicht zu. Ich hätte nie gedacht, daß Felle so saugfähig sind. Der Trainingseffekt nimmt dadurch natürlich enorm zu. Gottseidank bleibt der Schnee nicht sumpfig, sondern hat an vielen Stellen schon die Konsistenz von Sommerfirn angenommen. Nur neben Felsen oder Pflanzen kommt es dann wieder vor, dass ich knietief einsinke. Einmal hatte ich sogar minutenlang Probleme, aus so einem Sumpfloch wieder rauszukommen, weil – ähnlich einer Sandgrube – der Schnee blitzartig von links und rechts nachrutschte und die Schi begrub. Auf meinen Brettln lagen also gleich einmal mehrere zig Kilo Naßschnee. Aber für alle Fälle habe ich ja die Lawinenschaufel mit. Vom Wetter hatte ich ja schon wesentlich mehr Gutes bekommen, als ich mir erwartete, nämlich KEINEN Niederschlag. Ich schlendere also weiter taleinwärts, als ich einen Käfer (oder, ich nenne es anders) ein Urvieh im Schnee entdeckte. Es hat (zur Tarnung?) ein Hinterteil, das wie das Vorderteil aussieht.
Leider ist die Aufnahme trotz Makro nicht superscharf – aber ihr seht, was ich auch sah? Nun gut, es wird schon keine Neuentdeckung sein, dachte ich, und trabte weiter. Beim Abzweig zum Stierkar (das ist die Mulde südwestlich des Sulzkogel) konnte ich mich noch davon überzeugen, daß ein auf Google-Earth gezeichneter Track (Pfad) durchaus dazu geeignet ist, sich in unbekanntem Gelände zu helfen. Aufgrund der Schneequalität lies ich einen Abstecher ins Stierkar bleiben und steuerte die Niederreichscharte, mein schon vorher geplantes Ersatzziel, an. Heikel war einzig der steile Aufschwung vom Talboden Richtung der letzten Stufe vor dem Kar. Ich ging wie auf rohen Eiern und passierte die heikle Stelle zügig. Danach noch ein bißchen flach und ich stand im letzten – wieder nicht flachem Aufschwung. Die Schi mit Ballastfellen dran waren langsam echt schwer. Ich mühte mich pfeilsgerade hinauf und hinter einer Wächte war sie dann erreicht, die Niederreichscharte. Von ihr kann man ja, wenn die Sicht klar ist, direkt ins Ötztal schauen. Heute aber war nur der übliche Nebel des Grauens zu sehen. Ich stärkte mich mit Nutella-Vollkorn-Toast und soff die große Flasche mit Schiwasser leer. Jetzt war ich neugierig, wie das wohl zum Fahren geht. Nach dem ersten Hang war ich positiv überrascht. Und zeitgleich mit meiner Abfahrt, öffnete sich der Himmel und die Sonne blinzelte heraus. Hach, jetzt machts gleich doppelt Spaß.
Bei der Flachstelle vor dem Steilhang stellte ich die Bindung auf „Gehmodus“ um und konnte damit bequem und mit wenig Kraftaufwand die kleinen – wenige Meter hohen – Gegenanstiege meistern. Beim Steilhang angekommen machte ich aber wieder zu. War dies doch „der Schiläuferische Höhepunkt“ der heutigen Tour. Bei richtigem Firn wäre der Hang wirklich ein Sondergenuß, heute war die Befahrung fast ein bißchen gefährlich. Ich fuhr zuerst ohne Bauchwehgefühl ein, machte zwei, drei Schwünge und merkte dann aber, daß mir immer „ein leichtes Rauschen“ nachfährt. Ich hatte den weichen Oberflächenschnee abgetreten und dieser sammelte sich zu einer stattlichen – langsam dahinschwimmenden kleinen Lawine an. Ich querte raus aus dem Gefahrenbereich und zückte die Kamera.
Da alles in Zeitlupe ablief, war keine wirkliche Gefahr gegeben, aber wachsam soll man schon sein.
Die weitere Fahrt talauswärts war gar nicht übel – besser als gehen. Und in den Flachstellen machte ich wieder die Bindung auf und war als Langläufer zügig am Weg. Ich konnte wesentlich weiter hinausfahren, als erwartet, immer wieder querte ich apere Stellen um wieder und nocheinmal auf Schneebänder zu kommen. Dann war aber Schluß.
Ich stellte die Schi zum trocknen in die Sonne und legte mich für 15 min in dieselbe. Herrlich. Dann baute ich um und war in nur mehr 30 min wieder beim Auto.
29.5.2010
Christian Hilgarter
Und meine alte Regel: Abbrechen gilt erst ab dem Ausgangspunkt!, hat sich auch wieder bewährt.