Hochreichkopf

Hochreichkopf

oder: über die Bielefelder Hütte und den Hochreichkopf (Gratvariante) zur Schweinfurter Hütte und über die Finstertaler Scharte und Weg Nr. 148 zurück zum Ausgangspunkt.

2 Nächte minimalistisch auf Schutzhütten? Der Hilli hat an Klopfer, ist die einhellige Meinung meiner Kollegen. Also muß ich nur mit mir selber ausmachen, daß ich es durchziehe, und spätestens bei der Niederreichscharte frage ich den, mit dem ich es ausgemacht habe (also mich selbst), ob ich noch ganz huschi huschi bin……

Aber ganz von vorne. Im Juli 2008 haben Gert und ich einen Teil des Wilhelm Oltrogge Wegs (von der Bielefelder Hütte zur Schweinfurter Hütte) begangen. Das hat mir so imponiert, daß ich den ganzen Weg gehen wollte. Und mangels gleich Gieriger halt eben alleine.

Freitag, 3.9.2010

Um 16.00 Uhr lasse ich Bleistift und Telefonhörer fallen und flüchte nach Marail, von wo ich meine Tour beginne.

Aufgrund des Schnees wollte ich als Zustieg zur Bielefelder Hütte weder den Wetterkreuzkogel noch die Mittertaler Scharte nehmen (was sich als goldrichtige Entscheidung erwieß), sondern ganz gemütlich den Höhenwanderweg Nr. 148 über die Balbach Sennhütte und die Kühtaile Alm. Ich beeile mich, weil ich nicht ins Dunkle kommen will und wundere mich, als ich um 18:40 Uhr vor der Bielefelder Hütte stehe. Abendessen in den letzten Sonnenstrahlen. Fein! Mit mir nur ein junges Holländerpaar auf der Hütte, die von sich behaupten, am Samstag die gleiche Tour zu machen wie ich.

Samstag, 4.9.2010

Nach dem Frühstück um 07:30 Uhr verabschiede ich mich, auch von den Holländern, die scheinbar alle Zeit der Welt haben. Ich aber nicht, lieber bin ich zu früh auf der Schweinfurter, als ich hinke irgendwo der Zeit hinterher. Ich marschiere zügig dahin, bis vor der Achplatte der erste Schnee auftaucht.

Im Kar unterhalb des Lauser (2616 mtr) ziehe ich schließlich die Gammaschen an. Die Wegmarkierungen sind kaum zu sehen, es ist ein mühsames aber nicht ungutes Gestapfe.

Am Lauser angekommen ziehen am Horizont dunkle Wolken auf, man kann die Niederschlagsschauer wenige zig km entfernt sehen.

Jochwind bläßt. Bis zur Niederreichscharte noch 1 Stunde. Dieser Wegabschnitt hat es, mit den eingeblasenen Schneestellen, in sich. Höchste Vorsicht und Konzentration ist geboten, aber die scharfen Stellen sind durch die Bank Seil-Tritt-oder Griffversichert. An der Niederreichscharte angekommen wird mir etwas mulmig. Ich, alleine da drüber?

Jetzt war der Moment der Entscheidung gekommen: kneifen – übers Längental zurück zum Auto, aber dadurch das Vorhaben als NICHT GELUNGEN ablegen? Weiter über den Normalweg, oder später die Gratvariante nehmen? Ich entscheide mich vorerst einmal dazu, Richtung Schweinfurter Hütte weiterzumarschieren. Der Weg ab der Scharte steilt sich extrem auf, ist ungespurt und ich versinke oft bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Hilfreich sind die Drahtseilversicherungen, an denen ich mich hochziehen kann.

Den Weg selbst sehe ich selten, aber immer die Seile oder Farbmarkierungen. Schließlich kommt der Augenblick der Wahrheit: Grat oder Normalweg? Ich weiß, daß der Normalweg ein Umweg ist und möchte auch aus diesem Grund lieber dem Grat entlang.

Stellen II gilts zu bewältigen. Ich schlage nach links ein und beginne die aufregende Kraxelei.

Nie ist mir unwohl gewesen. Im Gegenteil, es war ein Genuß der Extraklasse. Diesen populären Weg zu spuren und, wie sich später herausstellte, an einem Samstag als Einziger zu gehen, das war schon ein tolles Gefühl. Und dann taucht der Gipfel vor mir auf! Er hat förmlich herübergelacht und mir zugezwinkert. So ist es mir vorgekommen. Ich wußte, jetzt wars getan!

Die letzten Meter, teils am Grat balanciert, teils nochmal die Hände zu Hilfe genommen, ich war da. Juhuhuii! Mit einem Freudenschrei entließ ich die ganze Anspannung hinaus in die Berge.

Die Gipfelrast dauerte höchstens 10 min, ich wollte nichts riskieren. Schließlich begann jetzt der Teil des Weges, den ich noch nicht kannte. Ich stieg in die Hochreichscharte ab, meistens den Schnee als feinen Stoßdämpfer nutzend.

Dafür waren die Schuhe aber auch naßgesoffen und meine Füße kalt. Von der Scharte abwärts gleite ich weglos in 30 cm schwerem, nassen Schnee. Es geht flott dahin, bis ich mit meinem rechten Schuh in einer trichterähnlichen Felsnase hängenbleibe und nicht mehr rauskomme. Das wäre ein Moment, um Panik zu kriegen. Stell` sich einer vor, 3 Stunden von der nächsten Hütte entfernt mußt Du mit nur einem Schuh im Schnee weitermarschieren. Ich bewahre die Ruhe und als gar nichts mehr hilft, ziehe ich den Fuß aus dem Schuh  und habe somit zwei Hände verfügbar, um das Teil nach mühsamem hin- und hergeziehe- und gezerre endlich aus der Felsfalle zu kriegen.

Es ist mir dann wurscht, als der Schnee vom Weg verschwindet. Die letzten 3 km zur Schweinfurter Hütte, vorbei an der Finstertaler Sennhütte, beginnt es zu regnen und ich kann diesen Teil des Weges gar nicht mehr so recht genießen, vielmehr bin ich echt froh, nach insgesamt 7 Stunden anzukommen.

Ich werde von der Hüttenchefin freundlich aufgenommen, teile mein Zimmer mit einem Engländer, der nicht spricht und dem Schweinfurter (ja – sehr treffend oder?) Robert.

Schließlich werde ich gefragt, ob ich derjene bin, der am morgen von der Bielefelder Hütte aufbrach, man wollte sichergehen, daß ich gut angekommen bin. „Ja“ – ich bins“. Bleiben nur noch die Holländer……. „achja, die, die sind umgekehrt, war Ihnen zu waghalsig“, teilt die Wirtin mit.

Die 4 min Dusche ist Luxus, ein bißchen lesen, abendessen und um 21.00 Uhr knipse ich den MP3 Player aus und träume noch einmal vom Grat.

Sonntag, 5.9.2010

06:50 Uhr, Frühstück. „Viel Kaffee bitte“ kriege ich, sicher mehr als 1 Liter. Ich mache mich auf den Weg zur Finstertaler Scharte. Es hat nachts aufgeklart und was am Vortag noch nasser Supergammel war, ist jetzt bockgefroren. Zum Gehen super, fast erinnert es mich ein bißchen an eine Skitour. Bis zur Scharte ist es purer Genuß.

Vom Schatten tauche ich in die Sonnenstrahlen ein und das gemütliche Dahinschlendern – kein Mensch weit und breit – gibt mir ein Gefühl, dass ich gerade etwas ganz exlusives erleben darf. Der Weg Richtung Finstertaler Staussee ist gespurt, wenn auch nur von Wenigen.

Trotzdem gehe ich meine eigene Spur, wo möglich suche ich Schnee, der sehr knieschonend wirkt. Die ersten Wanderer begegnen mir fast beim Stausee.

(dieses Foto ist das „Foto des Tages“ in der TT v. 7.9.2010)

Diesen umkurve ich, gehe bis zum Dreiseenlift und die Dortmunder Hütte und entscheide mich (wieder superrichtig) beim Speicher Längental über die Mittergrathütte den Weg Nr. 148 zu suchen und auf diesem zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Damit schließt sich der Kreis einer der wertigsten Wochenendtouren, die ich in meinem bisherigen Leben absolviert habe.

(grün: Freitag – Zustieg Bielefelder Hütte, Rot: Samstag –  Wilhelm Oltrogge Weg, Blau: Sonntag: Schweinfurter Hütte-Finstertaler Stausee – Längentaler Speicher – Ausgangspunkt)

4 Stunden und 40 Minuten nach dem Aufbruch bei der Schweinfurterhütte kann ich die verschwitzten Klamotten und nassen Schuhe endlich ausziehen.

Fazit: Durch die besonderen Verhältnisse und die Einsamkeit auf weiten Teilen der Tour sowie der schwierigeren Verhältnisse, hat die ganze Runde einen extra „Mehrwert“ bekommen. Für mich einer der oder sogar DER Höhepunkt im Tourensommer 2010.

 

Christian Hilgarter, 5.9.2010