Karwendelmarsch 2010

Karwendelmarsch 2010

oder – die härteste Tour in meinem bisherigen Leben.

Details zur Streckenführung erspare ich euch (wer trotzdem was dazu wissen will, im Vorjahresbericht 2009 nachschauen oder www.karwendelmarsch.info anklicken).

Um 05.50 Uhr steige ich aus dem Auto – Walli hat sich aus dem Bett gequält und mich zum Start chauffiert. Vor Ort sind die Läufer schon in Startposition, die Marschierer füllen einen großen Warteplatz etwas dahinter. Es regnet. Stark. Ich setze die Kapuze auf und freue mich über vermeintlich regenfestes Wandergewand. Die Regenhose denke ich mir (Fataler Fehler!!), ist nicht notwendig und so bleibt diese im Rucksack (!!).

Als ungefähr fündhundertster Wanderer stelle ich mich an, um den Startstempel für das den Laufverlauf beweisende Stempelheft zu bekommen. Meine Startnummer (1182) habe ich schon um die Brust geschnürt. Der Platzsprecher hat vorher die Schützen um Aufstellung gebeten, jetzt kracht es ordentlich und damit war der Startschuß für die Läufer gegeben. Jetzt sind wir dran, die Pforten öffnen sich und 8 „Stempler“ fertigen zügig die Wandersmänner ab, jedem schön seinen Stempel ins Stempelheft.

Es ist finster. Und regnet wie wild. Ich bin Optimist, das hört auf, sicher! Wenn Engel marschieren………… 🙂

Nach der Larchetalm bin ich nicht mehr optimistisch. In den Regen mischen sich wuchtige Schwälle von oben, so, als ob jemand Wasserkübel ausschüttet, und das Ganze auf dich prasselt. Werden die Schuhe halten? Ich glaube schon zu spüren, daß es durchläßt. 30 Minuten später ist es Gewißheit. Die Schuhe saufen sich langsam voll. Taktik?

Neben der Stärkung und Erholung, die jede Labestation bietet, versuche ich, weitere Annehmlichkeiten mit der Ankunft bei jeder Station zu verbinden. Man muß dazusagen, daß man bei diesem Marsch ein unaufgezwungenes „Eilbedürfnis“ an den Tag legt. Also einfach so stehenbleiben und mal lange an irgendetwas herumfuhrwerken, das geht nicht (obwohl, wie gesagt, NIEMAND schafft einem die Eile an, man hat sie einfach). So kommt es, bitte nicht lachen, daß mein erstes „Zusatzbonbon“ bei der Larchetalm das festere Schnüren der Schuhe werden soll.

Und beim Karwendelhaus setze ich die Kopfhörer auf und werde ganz in Musik versinkend weitergehen. Das wäre dann Bonbon Nummer 2. Wäre, und gewesen. Wasserschaden Nr. 1. Der MP3 Player hat den Geist aufgegeben. Ich bin mittlerweile bereits naß bis auf die Haut. Einzig die Salewa Regenjacke scheint zu halten (scheint). Meine lange Tourenhose jedenfalls ist etwa 1 kg schwerer als normal. Jetzt stellt sich die Frage, wie ich ohne Musik die lange Gehzeit kurzweiliger gestalten kann. Geholfen hat dann sicher „der da oben“ und mir exakt etwas unterhalb des Karwendelhauses einen Marschpartner zum quatschen geschickt. Egon. Ein 100 kg Bulle aus Osttirol, viel kleiner als ich, aber hochmotiviert und ein guter Gesprächs- udn Tourenpartner. Das Eis bricht als er mich um eine Kopfwehtablette fragt. Eh klar, hab`ja immer 2 Thomapirin dabei. Wir machen die Pause extrem kurz und können uns gegenseitig anheizen und anstacheln. Das ist bei den Verhältnissen dringend notwendig. Auch Egon hat bereits das Problem, in seinen Schuhen zu schwimmen. Einen wasserdichten Bergschuh scheint es nicht zu geben. Gleich kurbeln wir hinab Richtung Ahornboden. Eine wilde Flußquerung wird mein letztes Bild sein, bevor Wasserschaden Nr. 2 am Fotoapparat entsteht.

Gleich danach gibt es eine Begegnung mit zwei Läufern aus dem Lieblingsnachbarland. Sie stehen kurzärmlig (!!)  fröstelnd am Wegesrand und schauen uns mit Dackelblick an: „habt ihr vielleicht was Warmes zum anziehen für uns?“  „Haben schu, aber brauchi selber!“ war meine kurze Antwort und ich stieß Egon meinen Ellbogen in die Seite und raunte: „gea, weiter, sunsch hamma si picken“.

Nächste Station Ladizalm. Mampfen, stärken, Tee, würgen, schnell! Weiter gehts steil Richtung Falkenhütte. In dieser Passage sehen wir die ersten Aufgeber. Egon macht das Tempo, ich hinter ihm Druck. Nach 40 min Eintrudeln auf der Falkenhütte. Es gibt würzige Haferflockensuppe. 2 Becher. Heißen Tee mit Apfelsaft gekühlt (dass er schneller zum hinunterwürgen geht), zwei Stück Bananen und 1 Mega-Kalorien Keks. Das MKS ist mit Nüssen, Sonnenblumenkernen, Getreideflocken, Honig und in Butterschmalz herausgebacken. Wahrscheinlich hat 1 Keks soviele Kalorien, wie man normalerweise als Hauptmahlzeit zu sich nimmt.

Nun nur noch die Lalidererwände entlang und aufs letzte Joch, bevor es in die Eng runtergeht.  An das Schwimmen in den Schuhen habe ich mich mittlerweile gewöhnt und ich fasse den Entschluß, mit den nassen Dingern bis zur Gramaialm durchzugehen. In Summe trage ich 3-4 kg mehr durch das Wasser mit mir herum. Appropos: als ich nach der Flußquerung den Fotoapparat aus der Tasche nahm, wunderte ich mich darüber, daß er vor Nässe triefte. Und kam drauf, daß sich in meinen beiden Jackentaschen jeweils ein halbes Saftglas voller Wasser befand!! Wenn jemand sagt, „daß Wasser kommt überall hin“, hat diese Aussage für mich neue Bedeutung gewonnen. Und die Rucksackregenhülle beulte sich auch unten aus und man konnte das Wasser hin- und herschwappen sehen.

Eng: nur mehr einzelne Gruppen trudeln ein, kein Anstehen mehr. Blaubeersuppe, Tee, Vollkornkekse, schnell hinein stopfen. 3 Minuten. Egon: „gemma!“ Ich: yo Sir. Der Aufstieg und damit die Schlüsselstelle der Tour, hinauf aufs Binsjoch auf 1903 mtr. Es war echt hart. Steil, Schlammig, kalter Wind. Trotzdem – geschafft. Nur mehr 250 hm runter zum Gramaihochleger. Ein Käsebrot, Banane, Würgteeapfelsaftmischung. Den Ofen am Brennen halten. Der Abstieg zur Gramaialm ist abschüssig und lehmig. Obachten wegen ausrutschen. Trotzdem, mit vollem Stockeinsatz hinunterbrettern war angesagt. Mehr Laufen als Gehen. Die 500 hm waren flugs geschafft.

Wieder Tanken. Blaubeersuppe, Kraftbrühe, Kekse, Banane. „Nur mehr 9 km“ – yipieh!  Wir wissen, daß wir es geschafft haben, obwohl noch ein hartes Wegstück vor uns liegt. Es ist, wie das Warten aufs Weihnachtsgeld, man weiß schon im September, daß es kommt, aber es dauert halt noch……

Irgendwann kommt auch die Falzthurnalm. Nochmals alles reinjagen, was herumliegt. Der Bergwachtler will, daß ich Schnaps trinke. Ich schimpfe ihn und gehe weiter. Die lange Gerade Richtung Pertisau entlang, bald schon tauchen erste Häuser auf. Das Herz schlägt schneller, ja, ja, nicht mehr lange, dann bin ich durch. Egons Sohn hat auch mitgemacht, 17 Jahre, Zeit: 6:02 (!!!!). Er wartet auf seinen Vater am Ortseingang und wir trappeln nun zu dritt Richtung Ziel. Ich verabschiede mich jetzt und beeile mich noch ein bißchen mehr. Es gilt, die Vorjahreszeit (11:15) zu unterbieten. Hinein in den Zieleinlauf, die letzten Meter beweise ich Allen, daß ich noch laufen kann, 10:46. Eine halbe Stunde schneller als im Vorjahr!

Meine Süssen warten am Wegesrand und Luggi hat die Tasche mit trockenem Gewand bei der Hand. Endlich, warm und trocken. Mein härtester Marsch ist erfolgreich zu Ende.

Termin nächstes Jahr: 27.8.2011

Nachtrag v. 13.9.2010: Fotoapparat und MP3 Player sind durch den Regen als Total-Nässeschaden abzuschreiben.

 

Giggi, 29.8.2010